Zerstörte Häuser während der Flutkatastrophe von 1953. Fotografiert während des Besuchs von Königin Juliana in dem überschwemmten Gebiet.

Wenn die Nordsee an die Türen klopft

Ein Zukunftsbild für Schleswig-Holstein und Barmstedt

Es klingt nach wenig, fast unscheinbar: 10 bis 15 Zentimeter. Doch so viel ist der Meeresspiegel der Nordsee seit den Sturmfluten von 1953 in den Niederlanden und 1962 in Hamburg gestiegen. Was nach einer kleinen Zahl klingt, ist in Wahrheit ein Ozean aus Wasser. Man stelle sich vor: Pro Küstenbewohner wird alle 30 Sekunden ein voller Eimer Wasser in die Nordsee gekippt – Tag und Nacht, unaufhörlich, seit Jahrzehnten. Oder ganze LKW-Kolonnen, die pausenlos ihre Ladungen ins Meer entleeren. Was wie eine Übertreibung wirkt, ist bittere Realität. Der Meeresspiegel steigt – und mit ihm das Risiko, dass aus einer Sturmflut plötzlich eine nationale Katastrophe wird.

a black and white photo of a flooded house
Photo by Nationaal Archief on Unsplash

Zusammenleben wird brüchiger

Schleswig-Holstein lebt mit dem Meer, doch dieses Zusammenleben wird brüchiger. Die Deiche sind hoch und stark, sie haben seit Jahrzehnten gehalten. Aber ein „Worst Case“ lässt sich nicht völlig ausschließen: Wenn in einer Wintersturmflut der Wind aus Nordwest peitscht, das Hochwasser in die Elbmündung drückt und gleichzeitig mehrere Deiche aufweichen oder brechen, kann aus einer Naturgefahr binnen Stunden eine humanitäre Krise werden. Dann müssten Hunderttausende fliehen – aus Husum, Friedrichskoog, Brunsbüttel, aus den Halligen und den Marschen. Schleswig-Holstein stünde mit einem Schlag vor der Aufgabe, mehr als 300.000 Binnenflüchtlinge aufzunehmen, die alles verloren haben.

Sturmflut des Jahrhunderts

Ein Blick in die Zukunft: Januar 2050. Die „Sturmflut des Jahrhunderts“ trifft die Küste mit einer Wucht, wie sie in den Geschichtsbüchern bislang nicht verzeichnet ist. Während Hamburg um sein Überleben kämpft und Wilhelmsburg unter Wasser steht, suchen Zehntausende Schutz im Binnenland. Sporthallen, Schulen, leerstehende Gebäudsoziale Spannungen steigene werden zu Notunterkünften. Städte wie Neumünster, Itzehoe – und auch das kleine Barmstedt – sehen sich plötzlich mit einer Vervielfachung ihrer Bevölkerung konfrontiert. Für eine Stadt von 10.000 Einwohnern bedeutet das: 2.000 bis 3.000 zusätzliche Menschen, die von einem Tag auf den anderen eine Bleibe, Nahrung und medizinische Versorgung brauchen.

Soziale Spannungen steigen

Die Folgen sind dramatisch: Geschäfte bleiben leer, Trinkwasser und Strom werden knapp, Straßen verstopfen, soziale Spannungen steigen. Barmstedt liegt zwar sicher vor der Flut selbst, doch die Stadt wird unweigerlich in den Strudel der Katastrophe hineingezogen. Binnen weniger Tage verwandelt sich das vertraute Leben in einen Ausnahmezustand. Und auch langfristig bleibt nichts beim Alten: Viele Geflüchtete könnten nicht zurück, weil ihre Häuser zerstört, ihre Böden versalzen oder ihre Gemeinden schlicht unbewohnbar geworden sind. Dann würde Barmstedt nicht nur Notunterkunft, sondern Dauerheimat – mit allen Herausforderungen für Wohnraum, Arbeit, Schulen und soziale Stabilität.

Jede Entscheidung entscheidet

Was heute nach abstrakten Zentimetern klingt, sind morgen handfeste Katastrophen. Und jede Entscheidung über Klimaschutz, Deichverstärkung und nachhaltige Stadtentwicklung entscheidet mit darüber, ob Orte wie Barmstedt in der kommenden Küstenkrise bestehen können – oder im Gewicht der Binnenflüchtlinge und der Folgen eines einzigen Sturms zerbrechen.